Eine Auswahl aus meinen Gedichten
(Jegliche Art von Verwendung der Texte, auch in Auszügen, bitte nur nach schriftlicher Freigabe durch den Autor. Ich danke für Dein Verständnis.)
Gipfel
Wie Wanderer zum Gipfel
Zum Ideale drängt es mich
Erfüllung zu erfahren;
An Perfektionen hänge ich.
Doch weiss, wer auf dem Berge stand
Oft auch das Mittelmass zu loben
Denn sturmumtost ist höchster Platz
Und höher mal zu mal das Oben.
Gewiss, dass wenn auf halber Höhe lebst
Du manchem Sturme kannst entfliehn
Nur, hör den Ruf der Gipfel ich im Herzen
Werd ich wohl wieder ziehn.
Sein
Ich weiss, dass
Ich nicht weiss;
So denke ich.
Doch da ich bin
Ist mir auch Wissen;
Das fühle ich.
Dies Ahnen
Trügt mich nicht;
Denke ich.
Ich denke
Daher weiss ich –
Nichts.
Das Wissen um
Sein und Leben
Wohl erst der Tod
Wird es mir geben.
Wegweiser
Siehst du im Fluss das Zweiglein treiben
Bedenke auch des Lebens Sinn
So schwebest auf des Schicksals Wogen
Du selbst zum vorbestimmten Ufer hin.
Nur schwer erkennbar ist der Weg
Den dir der Einheit Sein beschert
Denn durch dein Sehnen nach dem Ziel
Ist dir der Blick darauf verwehrt.
Befreit von Zielen und Erwartung
Und der Gedankenspiele Wahn,
Bedenk vergangnen Lebenspfad
Find nächsten Schritt, die rechte Tat.
Doch wenn du gar nichts mehr begehrst
Dich selbst vom eignen Ich entleerst
Dann hört auch all dein Suchen auf
Wirst eins du mit der Welten Lauf.
Winterwanderung
Es steht im weißen Morgenkleid
Die Tann im winterlichen Weit
Ein Sonnenstrahl fällt glitzernd ein
Wind staubt ihr durchs Geäst
Sirenenruf und Lichterfest;
Wie könnt ich nicht verführet sein
Der warmen Stube zu entsagen
Mich in das Kühl hinaus zu wagen.
Schon krallt mit jedem Schritt
Sich in den Diamant besäten Pfad
Der Wanderschuh mit sichrem Tritt
Die Spur bezeugt die frische Tat.
Der Schnee gibt sich mit sanftem Sinn
Seufzend meinem Rhythmus hin.
Langsam schwingt die frostge Welt
Gleist von Eiseslicht erhellt
Der Bach raunt flüsternd mir ins Ohr
Eis zahnt aus steiler Wand hervor.
Still ich steh, groß ich seh, staune nur
Danke der Schönheit der Natur
Denke mich als Teil darein
Doch scheint mir dieses Denken klein
Erkenne mich nicht Teil doch eins
Eins mit dem Wunder allen Seins.
Am Fluss
Gleich flüssigem Glas
Wie sahnig weißer Tortenguss
Getränkt von Diamantensplittern
Drängt sich in felsbewehrtem Maß
Mit hellem Lichterflittern
Der winterliche Fluss
Ein warmes Rauschen
Springt mich an
Umfasst mich, hüllt mich ein
Stimmgewaltig und doch rein
Naturmusik trägt ihren Duft
Mit reichen Händen in die Luft
Und im stillen Lauschen
Es wächst zu mir heran
Lässt mich in jeder Zelle spüren
Wie Elemente sich berühren
Trocknes Gras in hohem Streben
Umrahmt das imposante Fließen
Verbeugt sich in des Windes Hauch
Demutsvoll vor dem Erleben
Und in ehrfürchtigem Genießen
Tue ich dem gleich
Verneige ich mich auch
Ein Reiher entweicht
Dem Farbenversteck
Steigt empor und streicht
Lautlos ins dunstige Gedeck
Ein Blitzen noch im Federkleid
Letzter feiner Flügelschlag
Am morgendlichen Tag
Schon taucht er ab in luftige Ferne
Oh, wie gerne –
Ich ihn begleiten mag!
Der Kampf
Blitzend, blinkend, scharf geschliffen
Rasen Klingen durch die Luft
Schneiden, teilen, nicht gekniffen!
Ein ganzes Heer voll Kampfeslust.
Im Brustschild glänzt das Wappen
Auf den Köpfen dunkle Kappen
In jeder Hand gesichelte Klingen
Die Augen weit, lass Lungen singen
Ziel vor Augen, vorwärts dringen
Diese Schlacht wird uns gelingen.
Und im kundigen Gelände
Fahren sie durchs Artenfremde
Hoch und runter, her und hinnen
Bei denen, die als Opfer dienen
Wird geerntet mitten drinnen;
Ganz im Stil antiker Horden
Beginnt ein ungezähmtes Morden
Da hilft kein Fliehen, kein Verstecken
Wem nun mal die Potenz gegeben
Entscheidet über Tod und Leben
Wer ohne Macht, der mag verrecken.
Nach dem Schlachten, wilden Sausen
Sieg gewohnt und unversehrt
Ins traute Heim zurück gekehrt
Beginnet frohgemutes Schmausen –
Des Sommers Abend, wohlig lau
Klarer wird Betrachters Schau
Kein arges Tun dem Aug wird wahr
Ein lieblich Spiel ist es sogar;
Nicht Messerschliff in blutigem Hau –
Sind Schwalbenflügel, fein gebogen
Flattern, Gleiten, Rucken, Zucken
In eilig Fahrt wird da geflogen
Meisterhaft und ausgewogen
Auf Nahrungsfang sind ausgezogen
Denn im letzten Tagesschein
Die Brut will recht umsorget sein.
So wirkt selbst in der wärmsten Stille
In tiefster Ruhe und Idylle
Der von Natur gesetzte Wille.
Im Paradies
Es zieht die Schlang durch‘s Paradies
Der Baum trägt Äpfel, reif und süß;
Das Mädchen spricht zu ihrem Knaben:
„Ich möchte so gern einen haben,
Will genießen und mich laben!“
Der Jüngling bricht ganz ohne Hast
Die röteste von allen Roten
Die schönste Frucht vom grünen Ast;
Es beißt die Maid darein geschwind,
Denn es weiß ja jedes Kind
Im Paradies ist nichts verboten.
Das Gänseblümchen
Ein Mädel läuft am grünen Rain
Im sommerlichen Sonnenschein
Setzt Füßchen hold und gar so fein
Freudvoll schmiegt sich Gras darein.
Bienensumm am Blütenstand
Schmetterling im Brautgewand
Es gleißt die Luft in heißem Werben
Betört von Duft und Lust am Werden.
Helles Lied aus Frauenbusen
Bestreicht den bunten Sommertag;
Welch ein Locken, welch ein Schmusen
Heisser Puls in schnellem Schlag.
Ein Tausendschön am Wegesrand
Auch Gänseblümchen wirds genannt
Flammend gelb, ein Tropfen Gold
Wärmt die Seel, wer Achtung zollt
Umrahmt von Engelszünglein, seidenweich
Weiß wie Muschelsand und Flügeln gleich.
Das Mädchen steht, beugt sich im Bein
Streicht Blümchens Köpfchen zierlich klein
Da strömt ins Tausendschön Verlangen
Möcht nie mehr aus der Hand gelangen
„Nimm mich mit, trag mich nach Haus
Will mit Dir sein, grab mich doch aus!“
Doch ungehört bleibt stummes Flehen
Das Menschenkind sieht nicht Natur
Erkennt darin den Zierrat nur;
Bricht Blüt um Blüt und flicht im Gehen
Den Blumenkranz zum Maientanz;
Schmückt sich schön das junge Haar
Bietet sich Bewunderung dar.
Und wie die Maid im Kreis sich dreht
Des Blümchens Reis zu Ende geht;
Am nächsten Morgen ganz verschlissen
Liegt’s achtlos auf die Gass geschmissen.
Nirvana
Nachdem das lichte Werk vollbracht
Weicht der Tagesstern der Nacht
Und wie’s der Kaiserin gebührt
Begleitet sie im Defilee
Zur abendlichen Soiree
Ein prunkvoll glänzend Wolkenheer
Es gleissen Rüstung, Schild und Speer
Ein letzter Kuss aus rotem Mund
Das Au Revoir zur Abendstund.
Und als die Kupferglut verglommen
Die Dunkelheit die Schatten löst
Der Himmel schwarz die Leinwand spannt
Erblüht wie Pinselwerk von Künstlers Hand
Das Sternenbild, in seiner Pracht vollkommen.
Am Fels gelehnt im weichen Wüstenstaub
Der Symphonie des Weltalls taub
Sitzt zwergenhaft vor hoher Wand
Altersmüd in zerschlissenem Gewand
Ein Pilger, geistiger Versenkung hingegeben;
Nichts beirrt die Konzentration
Nicht Fennek, Schlange, Skorpion.
So wie das Schweigen um ihn steht
Doch seine Füsse sind beredt
Sie zeugen von des Weges Pein
Von Regen und von Sturmeswut
Von Disteldorn und giftger Brut
Verbrannt auf sonnenheissem Stein
Erstarrt im Eis des Winterfrost
Im Bergfluss mit Gewalt umtost
Durch mühevollen Pfad geschunden
In Schmerzen narbenreich zerschrunden.
Doch was ist all das Körperleid
Wenn das Herz nach Antwort schreit?
Vom Jünglingsalter anbeginn
Drei Fragen quälen seinen Sinn:
Woher ich komm?
Warum ich bin?
Und wo gehe ich einst hin?
So viele Lehren hat ergründet
Aus Büchern Wahrheit sei verkündet
Von Gott und Göttern und Schöpferskraft;
Mönch und Meistern ist zu Fuß gesessen
Schamanen, Brahmanen und Priesterschaft
Er lernte Astrologie und Alchemie
Geheimnisdenken und Philosophie
Hat Glaubenssätze memoriert
Psalm und Mantra rezitiert
Doch keine Lehr die Antwort kannt
Den klaren Quell er nirgends fand.
Nun wurde ihm vor Tagen
Die Kunde zugetragen
Es lebt ein Hirte im Steppenland
Sehr seltsam sei er im Benehmen
Doch voll der Weisheit sein Verstand;
Nur manchmal ließe sich vernehmen
Sein helles Lachen über Feld und Land.
Wie Chorgesang hört Nachricht klingen
Dem Wegweis war sehr leicht gefolgt
Der Pilger traf gleich Tags darauf
Wo Gras und Kraut im Winde schwingen
Den Hirt an duftend Baches Lauf.
Voll Ehrfurcht setzt er seinen Schritt
Senkt Hut und Kopf mit letztem Tritt
Verneigt sich tief und spricht sodann
Den Hirt mit leiser Stimme an:
„Meister, von weit her bin ich gekommen,
Wandre Jahre, um die Antwort zu bekommen;
Es quälen Fragen meinen Sinn:
Woher ich komm?
Warum ich bin?
Und wo gehe ich einst hin?“
Der Hirte sieht ihn lächelnd an
Bietet Platz und spricht sodann:
„Wo kein Anfang, da kein End bereit
Unendlichkeit hat keinen Raum
Die Ewigkeit hat keine Zeit!“
Worauf der Pilger spricht:
„Ich verstehe und verstehe nicht.“
Der Hirte nimmt den Stock zur Hand
Zeichnet Kreis in feinen Sand:
„Siehst du, wie der Kreis dir zeigt,
Wo kein Anfang, nichts zum Ende neigt?“
„Und siehst du mit Gedankenkraft,
Wie der Kreis den Raum erschafft?“
Mit Andacht hört der Pilger zu
Der Hirt erklärt mit sanfter Ruh:
„Sonn und Mond die Tage teilt
Schattenwurf im Lichte weilt
Freude braucht die Traurigkeit
Die Liebe hat den Hass gefreit
Gift den kranken Körper heilt
Gut ist mit dem Bös verseilt
So ist Unendlichkeit und Ewigkeit
Erfassbar nicht ohn’ Raum und Zeit.“
Der Pilgrim spricht:
„Wie kann Erkenntnis ich erlangen?“
Worauf der Hirt:
„Dies ist kein leichtes Unterfangen!“
„Denn weil der Mensch im Selbst sich hält
Lebt er nur Raum- und Zeitenwelt
Ist losgelöst vom edlen Sein
Findet sich in Leid und Pein.“
„Oh Meister, hebt der Pilger an,
Erklär mir, wie ich‘s ändern kann?“
Des Hirten Augen fröhlich blicken
Und er fährt fort mit einem Nicken
Greift aus dem Gras einen Bund heraus
Wischt den Kreis, die Zeichnung aus:
„Da ist kein Kreis, auch Anfang nicht
Kein End, nicht Zeit, nicht Raum in Sicht!“
„Erkenn, du siehst nicht wahres Spiel;
Verbind dich einiglich im Mitgefühl
Erlösch dein Selbst, das dich gefangen
So wirst zum Urgrund du gelangen!“
Alsdann der Hirte so geredt
Den Arm dem Pilger umgelegt
Schallt laut ein Lachen aus ihm vor
Und führt den Pilger aus dem Tor.
Stund um Stund und Tag um Tag
Unbeirrt der Wüstenglut
Nachteskälte, Mückenbrut
Der Pilger in Versenkung weilt;
Längst ist sein Geist dem Selbst enteilt
Da lockt ein Lachen seine Brust
Entweicht dem Mund voll Herzenslust
Erkenntnis wurd ihm, er verstand
Ein Atemzug – und er verschwand.
(Autor der Gedichte: Dieter Ruh)