Interview

Dieses Interview wurde Mitte 2012 mit Marié Niino, der hervorragenden Karateka und Herausgeberin des Magazins TOSHIYA geführt.

Ich empfehle Euch das TOSHIYA. Link: http://www.toshiya.de/

toshiya

Dieter, wie geht es Dir zur Zeit gesundheitlich?

Dieter Ruh

Zur Zeit geht es mir gesundheitlich sehr gut. Mein Körper erlaubt mir ein sehr umfangreiches Training, ich bin sehr zufrieden.

toshiya

Wenn man im Internet Lehrgangsberichte oder diverse Blogs von Menschen durchblättert, die Dich als Lehrgangsleiter erlebt haben,  so entsteht ein recht freundliches Bild Deiner Persönlichkeit. Ist das nur auf Karate beschränkt oder wirkst Du auch im privaten und beruflichen Alltag einnehmend und sympathisch? Was ist Dein Rezept beim Umgang mit Menschen?

Dieter Ruh

Leider kenne auch ich die Momente der Unausgeglichenheit und bin dann auch nicht so freundlich, wie ich gerne sein würde. Aber generell mag ich die Menschen. Es gibt sehr wenige Menschen, die mir unsympathisch erscheinen und auch da habe ich im zweiten Blick oftmals erkennen dürfen, dass auch diese Menschen sehr nett sind, wenn man sie näher kennen lernt. Ich denke, letztlich gilt: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück.

toshiya

Bleiben wir noch eine Weile bei dem Privatmensch Dieter Ruh. Wo bist Du aufgewachsen und zur Schule gegangen?

Dieter Ruh

Aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich in Konstanz am Bodensee. Ein paar Jahre habe ich dann in München gelebt, es hat mich aber zurück nach Konstanz gezogen, wo ich privat und beruflich mein Zuhause gefunden habe.

toshiya

Gibt es Ereignisse in Deiner Kindheit, die Dich besonders geprägt haben oder an die Du Dich gerne erinnerst?

Dieter Ruh

Ich bin, wie man so sagt, wohl behütet mit meinen beiden Geschwistern aufgewachsen, liebevoll von der Mutter, strenger vom Vater umsorgt, letzteres hat wohl dazu geführt, dass ich meinen eigenen Kindern gegenüber sehr nachsichtig bin. Hat aber überhaupt nicht geschadet, alle haben sich phantastisch entwickelt.

toshiya

Welche Vorstellungen hattest Du beim Übergang von der Schulzeit in die Ausbildung und wie entwickelte sich Dein beruflicher Werdegang?

Dieter Ruh

Meine Schulzeit war nicht gerade berauschend und spätestens im Alter von 17 Jahren war mir das Karatetraining und natürlich auch das zarte Geschlecht wichtiger, als die Schule. Aber, wie das Leben so spielt, im beruflichen Umfeld gelten andere Gesetze und so kann ich heute auf einen positiven beruflichen Werdegang zurück blicken.

toshiya

Würdest Du heute in der Rückschau noch einmal dieselbe Berufswahl treffen?

Dieter Ruh

Nein, ziemlich sicher nicht. Ich würde vermutlich eher eine pädagogische oder eine soziale Tätigkeit ausüben.

toshiya

Wie schaut es heute ganz privat bei Dir aus? Ehefrau, Kinder, Haus, Yacht, Auto, Pferde, Aktien und Chalet in der Schweiz?

Dieter Ruh

Ich lebe mit meiner zweiten Ehefrau, ebenfalls eine Karateka und unserer gemeinsamen Tochter in einer Eigentumswohnung. Das Verhältnis zu meinem Sohn und meiner grossen Tochter aus erster Ehe ist perfekt, eine moderne Patchwork-Familie. Eine grosse materielle Ausstattung war nie mein Bestreben, ich selber bin an mir wohl eher bescheiden. Das beruflichen Vorwärtsstreben geht ja in der Regel mit entsprechender finanzieller Ausstattung einher, so dass ich sagen kann, auch ohne Yacht und Chalet, es fehlt mir an nichts.

toshiya

Mit 17 Jahren führte Dich Dein Lebensweg an eine Gabelung: die eine Richtung bedeutete ein Leben ohne Karate, die andere Route war gepflastert mit allen Elementen, die unser Karate ausmachen. Was beeinflusste damals Deine Entscheidung?

Dieter Ruh

Ja, diese Gabelung war ein gelbes Plakat, nicht grösser als DIN A2 gegenüber der Bushalteschule des Gymnasiums, das ich damals besuchte. Eine Hand war abgebildet, darüber stand KARATE, darunter „Anfängerkurs“. Ich musste nur noch den Schritt in diese Richtung machen, wohl eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

toshiya

Du hattest in jenen Tagen das Glück, zwei Menschen zu begegnen, die heute schon als Fixsterne zumindest des deutschen Karatehimmels zu bezeichnen sind: Hanskarl Rotzinger und Peter Betz. Hast Du in jener Zeit schon gewusst, dass es außergewöhnliche Persönlichkeiten sind?

Dieter Ruh

Hanskarl Rotzinger und Peter Betz waren damals die Personifizierung des Karate für mich, daran hat sich nichts geändert. Beide zähle ich zu meinem engen Freundeskreis und beide haben mich in meinem Karateleben immer wieder motiviert und gefördert. Hanskarl Rotzinger hat ja dann sein eigenes Dojo gegründet, das Karate-Fitness-Dojo, welches ebenfalls ganz hervorragende Athleten hervorgebracht hat und hervorbringt.

Peter Betz war für uns junge Karateka und für mich ganz besonders immer die Person, zu der wir aufgesehen haben. Er hat meinen persönlichen Werdegang wohl mehr positiv beeinflusst, als irgendein Mensch sonst in dieser Zeit. Ich bin ihm sehr dankbar dafür.

toshiya

Wie war damals das Training organisiert?

Dieter Ruh

Montag, Mittwoch, Freitag Training im Dojo, einer Turnhalle, im Sommer ziemlich heiss, im Winter war der Boden sehr kalt, so dass vor dem Training eine Reihe Weissgewandeter barfuss auf den Heizkörpern stand.

Das Training war, wie soll ich sagen, ziemlich japanisch. Peter Betz hatte ja fast zwei Jahre an einer Uni in Japan trainiert. Sein besonderer Kampfgeist war auch der Geist des Trainings. Heute wird das Training gerne auf die breite Masse ausgerichtet, vielleicht auch ein Ergebnis finanzieller Zwänge und dadurch dem Wunsch, möglichst viele Mitglieder im Dojo zu halten. Damals war das Training eher auf die Leistungsspitze zentriert, die anderen orientierten sich danach und trainierten mit, wie es möglich war. Es war ein permanentes Fordern und Fördern. Das galt auch für jedes Randori, welches zumeist ziemlich hart und realistisch war. Heute sehe ich beim Randori häufig, dass die Kämpfer lächeln, Spass haben. Nichts gegen Spass, aber ich empfinde Spass am Kämpfen eher befremdlich, denn Kämpfen ist und sollte meiner Meinung nach immer ein Bereich des Ungewöhnlichen, der Grenzerfahrung sein. Denn geht es im Leben letztlich nicht darum, nicht mehr kämpfen zu wollen resp. zu müssen?

toshiya

War für Dich von Anfang an klar, dass das Training auch im Wettkampf münden würde?

Dieter Ruh

Das war damals das unbedingte Ziel. Ich war jung, wollte mich beweisen, suchte und fand im Wettkampf die Bühne hierfür. Es waren mir dann auch recht bald Erfolge beschert, was die Motivation weiter gesteigert hat. Ich denke, dass der Wettkampf für junge Menschen der persönlichen Entwicklung sehr zuträglich ist. Ganz allein dem Wettkampfpartner auf der Kampffläche gegenüber zu stehen, nicht zu wissen, was die nächsten Minuten bringen, trotz der Vorgabe der Kontrolle nicht gewiss zu sein, ob nicht evtl. doch eine Verletzung geschieht, aktiv oder passiv, das ist eine einschneidende Erfahrung.

toshiya

Bist Du ein Wettkampf-Typ? Suchst Du auch privat oder beruflich den Vergleich und strebst nach Gewinn oder Sieg?

Dieter Ruh

Diese Frage habe ich mir selber schon häufig gestellt und vor einigen Jahren darüber ein kleines Gedicht geschrieben:

Wie Wanderer zum Gipfel, zum Ideale drängt es mich,
Erfüllung zu erfahren, an Perfektionen hänge ich.
Doch weiss, wer auf dem Berge stand, oft auch das Mittelmass zu loben,
Denn sturmumtost ist höchster Platz und höher mal zu mal das Oben.
Gewiss, dass wenn auf halber Höhe lebst, du manchem Sturme kannst entfliehn,
Nur, hör den Ruf der Gipfel ich im Herzen, werd ich wohl wieder ziehn.

Aber, ich muss gestehen, dass ich auch da mit den Jahren nun doch etwas gelassener geworden bin. Geblieben aber ist, dass ich nicht gerne verliere.

toshiya

Kannst Du Dich an Deine erste Karate-Prüfung erinnern? Welche war die übelste?

Dieter Ruh

Die erste Prüfung ist mir nicht mehr gewahr, aber die bestandene Prüfung zum ersten Farbgurt, gelb, hat mich so gefreut, dass ich den ganzen Nachhauseweg auf meinem Mofa laut gesungen habe, wer mich gehört hat, wird sich wohl gewundert haben.

Übel möchte ich die Prüfung zum ersten Dan nicht gerade bezeichnen, doch lässt die Tatsache, dass von 13 Prüflingen neben mir lediglich noch ein anderer Kandidat die Graduierung erreicht hat, Rückschlüsse auf die harten Anforderungen zu.

toshiya

Es dauerte nicht lange und Du wurdest in den Landeskader berufen. Warst Du eher stolz oder trübten Versagensängste Deine Empfindungen?

Dieter Ruh

Zu meiner aktiven Wettkampfzeit wussten es alle, die mich näher kannten, wie unglaublich nervös ich vor den Kämpfen war. Glücklicherweise legte sich das immer sehr spontan in dem Moment, wenn ich die 2 bis 3 Schritte vom Mattenrand zum Startstreifen gegangen war. Ab dann war alles in mir nur noch auf den Kampf oder den Katavortrag ausgerichtet. Natürlich war ich sehr stolz, dass ich in den jeweiligen Kadern aufgestellt wurde, aber die Sorge davor, nicht den Anforderungen genügen zu können, zu versagen, hat mich einerseits in meiner Nervosität gestärkt andererseits jedoch auch zur Höchstleistung angespornt. Daraus resultiert wohl auch, dass ich wohl eher ein Angriffskämpfer war, der die Entscheidung immer sehr schnell gesucht hat.

toshiya

Deine erste Begegnung mit Ochi Sensei. War das Gefühl geprägt ähnlich wie in der Schulzeit, wenn die Autoritätsperson des Direktors eine Ansprache hielt oder eher ein kameradschaftliches Empfinden, wenn sich der primus inter pares zu Wort meldet?

Dieter Ruh

Die erste Begegnung war bereits während meines Anfängerkurses. Ochi sensei war in Konstanz und sich nicht zu schade, das Training für uns Novizen zu leiten. Für die Konstanzer war aber der Zugang zu Ochi sensei immer recht einfach, der Weg war durch Peter Betz und Hanskarl Rotzinger geebnet. Ochi sensei war die absolute Karate-Instanz für uns, auch heute noch fühle ich mich immer bei seinen Trainings hochmotiviert, ihm meinen augenblicklichen Stand zu zeigen.

toshiya

Nach dem Eintritt in den Landeskader folgte sehr bald die Berufung zum Nationalkader. Wie war damals die Verbandsstruktur?

Dieter Ruh

Ich erlaube mir den Ausspruch, trete hoffentlich niemandem damit auf die Füsse, dass ich im Herzen ein alter DKB’ler (Deutscher Karate Bund) geblieben bin. Dieser Verband, eher, wie der Name schon sagt, Verbund, war eine eingeschworene Karatefamilie, geprägt von einem einmaligen Geist. Das war auch in jedem Kadertraining zu spüren. Später kam es dann mit den Karateka der DKU, des Goju Ryu und des Wado Ryu zum Zusammenschluss im DKV. Unter uns Athleten haben wir uns immer sehr gut verstanden. Erster Bundestrainer war Horst Handel, später wurde das Kader dann von Ochi sensei übernommen.

toshiya

Wie gestaltete sich damals das Training im Bundeskader?

Dieter Ruh

Ist in meinem Bericht beschrieben

toshiya

Wann hattest Du Deine allererste Turnierteilnahme und wann die letzte?

Dieter Ruh

Meine erste Turnierteilnahme hatte ich als Gelbgurt bei der Baden-Württembergischen Jugendmeisterschaft 1974. Ich errang dabei mit der Mannschaft den 1. Platz. Meine letzte Turnierteilnahme war die DM 1983 mit einem 1. Platz in Kata-Mannschaft.

toshiya

Gibt es Wettkampferfolge, die Dir heute noch wichtig sind?

Dieter Ruh

Generell glaube ich, dass kein Ruhm so schnell vergeht, wie der sportliche. Wenn wir heute frühere Spitzensportler sehen, das gilt auch für das Karate, dann heisst es zumeist maximal „der/die war auch mal ganz gut“. Allerdings haben wir im Karate den unschätzbaren Vorteil, dass wir uns trotz fortschreitender Jahre immer weiter verbessern können. So sind mir die Erfolge nicht mehr so wichtig. Irgendwann, vor Jahren schon, habe ich daher auch alle Pokale, Medaillen und Urkunden dem Mülleimer anvertraut. Was mir wichtig ist, das sind die Erinnerungen an aussergewöhnliche Situationen oder besondere Kämpfe. Jahrelang hat mich z.B. immer wieder das Bild verfolgt, was wäre gewesen, wenn mein Mawashi-Geri im Finale bei der EM 1980 einen einzigen Zentimeter weniger weit gewesen wäre. Zwei Kampfrichter werteten Ippon, zwei Chui. Die Entscheidung des Hauptkampfrichters war der Chui. Sicher berechtigt, die Technik war zu unkontrolliert und die Wirkung zu stark. Vielleicht wäre dieser eine Zentimeter aber der Schlüssel für den Finalsieg des deutschen Teams gewesen. Solche Dinge sind mir wichtig aus dieser Zeit, zeigt doch diese Situation z.B. auf, mehr Achtsamkeit walten zu lassen.

toshiya

Wie stehst Du heute in der Rückschau zur aktiven Wettkampfzeit?

Dieter Ruh

Eine wunderbar ereignisreiche Zeit, eine Zeit in der ich an Selbstsicherheit gewinnen durfte, die mich geprägt hat und reifen liess.

toshiya

Hast Du Dich in der Folgezeit als Wettkampftrainer betätigt oder konntest Du Dich dem Sog des Sportkarate entziehen?

Dieter Ruh

Ich möchte hier unterscheiden zwischen dem Karate-Sport und dem Sportkarate. Ich habe den Eindruck, dass über die rein sportbetonte Ausrichtung des Karate, wie wir es heute ebenfalls finden, die eigentliche Idee des Karate in Gefahr gerät, verlustig zu gehen. Das Wesen und Ziel des Karate muss auch im Wettkampf immer der Ippon sein. Die ernsthafte Konzentration auf die eine einzige Chance, die über Sieg oder Niederlage entscheidet. Dies in Verbindung mit dem Prinzip des Kime. Dieser eine Moment, in dem sich alles zentriert, ich denke, das hebt Karate auch im Wettkampf über den reinen Sportgedanken, zeigt sich auch hier als das, was es letztlich ist – eine Kampfkunst.

toshiya

Hast Du heute noch Kontakt mit ehemaligen Wettkämpfern?

Dieter Ruh

Ja, man trifft sich auf Lehrgängen, denn viele der alten Wegbegleiter sind ebenfalls dem Karate treu geblieben. Seit einigen Jahren trainiere ich im Karate-Fitness-Dojo, das ebenfalls sehr erfolgreiche Kaderathleten hervorgebracht hat. Ich freue mich jedes Mal, mit diesen jungen Athleten zu trainieren und auch ein intensives Randori erleben zu dürfen. Ist dann fast wie in den alten Zeiten.

toshiya

Wettkampf zu Deiner Zeit und Turniere heute – haben die Veranstaltungen noch viele Gemeinsamkeiten?

Dieter Ruh

Ich glaube, für die Athleten hat sich nicht viel geändert. Es scheint mir von Seiten der Organisation und der Rahmenbedingungen her professioneller geworden zu sein. Für den Sportler geht es um den Sieg, auch gerne mal um den Ruhm, um die beste Platzierung. Das ist das Wesen des sportlichen Wettkampfs. Je nach Verband bestehen jedoch zum Teil deutliche technische Unterschiede. Hier ist zu betrachten, dass der Sportler immer so trainieren und agieren wird, wie es notwendig ist, um den Punkt, die beste Wertung zu erzielen. Hier nehme ich die Verantwortlichen und auch die Kampfrichter in die Pflicht, das Karate im überlieferten Sinn nicht aus den Augen zu verlieren. Die kontrollierte Technik z.B. benötigt nicht immer noch mehr passive Schützer. Auch sehe ich den Versuch, Karate unbedingt zu einem telegenen Zuschauersport machen zu wollen, eher kritisch. Vielleicht ist ja das Karate hierzu nicht geeignet, wollen wir den Geist des Karate nicht verlieren.

toshiya

Deine Karate-Entwicklung. Die Prüfung zum 1. Dan: Ein Gefühl wie „endlich geschafft, ich gehöre dazu, ab jetzt wird nicht mehr gelacht und die ganze Samurai-Nummer voll auskosten“ oder eher „eigentlich kann ich ja nichts und habe wenig von Karate verstanden, hoffentlich fragt mich nie ein Farbgurt nach irgendwas“ oder war es ein Tag wie jeder andere.

Dieter Ruh

Die Prüfung zum 1. Dan fand in Bottrop im Rahmen eines Bundesbestenlehrgangs (Training ausschliesslich für Schwarzgurte und jene, die es werden wollten). Danach der Rückflug nach Konstanz und am Montag darauf gleich wieder Vorbereitungstraining für die nächste Meisterschaft. Dass das Pflänzchen nicht zu sehr übertrieben in die Höhe schoss, dafür sorgten schon die Freunde und Trainer. Ich weiss noch genau, dass ich etwas trödelnd bei der nächsten Meisterschaft einige Minuten zu spät zur Mannschaft stiess und Peter Betz mich mit den Worten schalt: „Du bist jetzt Dan, Du hast Verantwortung“.

In Erinnerung daran und mit den weiteren Dan-Prüfungen bin ich mittlerweile zu der Auffassung gelangt, dass ein erreichter Dan immer nur der Startpunkt ist, sich nun in diese neue Graduierung hinein zu entwickeln. Man ist nicht, sondern darf es nun werden. Das hält uns auch bescheiden und im notwendigen Geiste des Schülers.

toshiya

Wieso bist Du nie auf das Funktionärskarussell aufgesprungen?

Dieter Ruh

Um es gleich vornweg zu sagen, ich habe den allergrössten Respekt vor den vielen ehrenamtlichen Helfern und Funktionären, die mit ihrem grossen Engagement sich für das Karate und vor allen Dingen auch im Jugendbereich einsetzen. Ich war viele Jahre in den verschiedensten Funktionen im Verein tätig, vom Jugendsportwart bis zum Vorsitzenden. Allerdings, dieser Egoismus mag mir nachgesehen werden, wenn mir die zeitliche Alternative  bleibt entweder zu trainieren, oder in einer Funktion aktiv zu sein, so schlägt mein Herz für das Training.

toshiya

Du unterhältst eine eigene Homepage. Warum?

Dieter Ruh

Zum Einen ist diese Homepage entstanden, weil ich mich gerne mit dem Webdesign, dem Programmieren von Webseiten beschäftige, zum Zweiten wollte ich ein Portal erstellen, in dem ich meine Trainingsevents und Lehrgänge publizieren kann. Der Besucher, die Besucherin meiner Webseiten sollte sich hierüber informieren, sich aber auch ein Bild von meiner Person machen können.

toshiya

Man kann Dich als Trainer für Wochenendlehrgänge buchen. Welche Schwerpunkte möchtest Du vermitteln?

Dieter Ruh

Karate in seiner ganzen körperlichen und geistigen Breite und Tiefe. Detailliertes und exaktes Techniktraining und die Wechselbeziehung zwischen körperlichem Tun und dem, was es in uns bewirkt. Kata und Kumitetraining unter dem Gesichtspunkt der realistischen Umsetzung.

toshiya

Du bereitest ein Trainingscamp 2012 in Südfrankreich vor. Warum Südfrankreich und was ist Dein Konzept?

Dieter Ruh

Im Sommer 2010 hat dieser Event zum ersten Mal stattgefunden. Ob es dieses Jahr wieder klappt, ist leider noch nicht ganz gewiss. Hinter all den Aktionen, welche ich in dieser Art und Weise organisiere und anbiete, steht das Konzept des KARATE-come-together. Unter diesem Motto verstehe ich:

  • Karate intensiv trainieren und in der Gemeinschaft von Gleichgesinnten erleben

  • Besondere Trainingsinhalte, interessante Trainingsumgebung

  • Zeit miteinander verbringen, Freunde finden, Freundschaften pflegen

  • Aktive Teilnahme des Trainers am Trainingsgeschehen – zum direkten Erfahrungsaustausch

Gerade der letzte Punkt ist mir besonders wichtig. Ich trainiere, wann immer möglich, mit. Trainer und zugleich Trainierender, Lehrer und gleichermassen Schüler, Vorbild und Gleicher zu sein, das entspricht meinem Verständnis vom Karate.

toshiya

Wie sieht es aus mit Deinem eigenen Karate-Weg? Findest Du noch Impulse, die Dich voranbringen?

Dieter Ruh

Bei dem oben beschriebenen ersten Event in Avignon, Südfrankreich, kam eine sehr geschätzte Teilnehmerin auf mich zu und sagte, dass ich vor und zwischen den Trainings genauso müde und erschöpft aussähe, wie alle anderen auch, sobald ich aber den Gi angezogen und den Gurt gebunden hätte, wäre ich ein ganz anderer Mensch und voller frischer Energie. Das mag wohl so sein, die Begeisterung und Faszination für das Karate hat nie nachgelassen, mit den Jahren und der immer ein wenig weiter gewordenen Sicht auf diese Kunst, scheint sich das eher noch zu steigern.

toshiya

Das Leben kann grausam sein und offenbart sich für Kinder in der erbarmungslosen Grundwahrheit, dass man ein Bonbon nur einmal lutschen kann. Auch das Leben lässt sich nur einmal leben. Würdest Du gerne bestimmte Lebensabschnitte noch einmal durchlaufen oder andere ohne weiteres streichen und durch neue ersetzen?

Dieter Ruh

Direkt nach einem Tiefschlag im Leben, den ja jeder von uns kennt, würde ich gerne die Zeit zurückdrehen, das Schicksal ändern, das Erlebnis streichen. Auch manch unbedachtes Wort, im Eifer des Moments ausgesprochen, hätte ich schon gerne zurück genommen. Aber auch hier gilt, dass das gesprochene Wort wie ein abgeschossener Pfeil ist, es lässt sich nicht mehr zurückholen. Im Nachhinein aber kann ich sagen, dass sich alles in meinem Leben immer sehr gut gefügt hat, dass vermeintlich negative Erlebnis sich dann zu fruchtbaren Erfahrungen gewandelt haben, die mich weiter gebracht, entwickelt und zu dem gemacht haben, was ich heute bin.

toshiya

Warum hast Du kein eigenes Dojo gegründet?

Dieter Ruh

Vielleicht habe ich irgendwann den richtigen Zeitpunkt verpasst. Im Zurückdenken wäre dies wohl für mich eine gute Sache gewesen. Heute spreche ich gerne von einem virtuellen Dojo, ich organisiere Events, gebe Lehrgänge und im Dojo bin ich ebenfalls als Trainer tätig. Und immer mal sehen, was das Leben für mich noch alles bereit hält.

toshiya

Du hast viele Karateka und unterschiedliche Dojo kennen gelernt. Gibt es Präferenzen?

Dieter Ruh

Ich habe überall Karateka kennen gelernt, die mit Herzblut dem Karate verbunden sind. Besonders aber schlägt natürlich mein Herz für die Konstanzer Karateka. Die beiden grössten ortsansässigen Dojos, das Zentral-Dojo und das Karate-Fitness-Dojo haben in den vielen Jahren ihres Bestehens eine phantastische Arbeit geleistet.

toshiya

Die Schwarzgurtprüfung testet das technische Können eines Sportlers. Sollte der Danträger bestimmte Charaktereigenschaften haben? Sollten diese auch einem Test bei der Schwarzgurtprüfung unterzogen werden?

Dieter Ruh

Wie wollte man die Charaktereigenschaften speziell testen, das wäre sicher die entscheidende Frage. Aber ein erfahrener Prüfer kann auch ohne diesen Test die charakterliche Reife des Probanden erkennen. Das fängt mit der respektvollen Verbeugung an und zeigt sich in der geistigen Haltung besonders in Kumite und Kata.

toshiya

Der Dojoleiter trägt eine ungeheure Verantwortung. Nicht nur zivilrechtlich muss er auf der Hut sein, auch wirkt er durch seine Vorbildfunktion auf Kinder und Jugendliche prägend ein Leben lang. Denkst Du, dass es ausreicht, wenn sich Schwarzgurtträger auf Wochenendlehrgängen ausschließlich technisch fortbilden lassen?

Dieter Ruh

Es mag gebetsmühlenartig klingen, wenn ich mich wiederhole und behaupte, dass das Wichtigste ist, selber immer und immer wieder den Gi anzuziehen und intensiv zu trainieren. Nur über diese permanente praktische Übung kann der Vorbildfunktion Rechnung getragen werden. Die Wochenendlehrgänge sind dann weitere Inspiration, regen zu Richtungsänderungen an, korrigieren und verstärken. Dann geht man wieder ins Dojo und trainiert intensiv in dieser Richtung weiter, geht wieder auf einen Lehrgang, zeigt das Geübte, korrigiert neu usw. In diesem Sinne sind auch Wochenendlehrgänge sehr befruchtend, insbesonders, da ja den meisten auch nicht viel mehr Zeit zur Verfügung steht. Wenn dann z.B. noch ein Osterlehrgang in Rosenheim bei Ishikawa sensei, oder ein Kankeiko in Überlingen bei Akita sensei dazu kommen, wunderbar.

toshiya

Dieses Jahr sind die Konstanzer wieder einmal Gastgeber des Gasshuku. Mit Sicherheit freuen sich über ein tausend begeisterte Karateka auf das zentrale Erlebnis dieses Jahres. Worauf freust Du Dich dabei?

Dieter Ruh

Gasshuku in Konstanz ist immer etwas ganz Besonderes. Ich selber hatte in der Vergangenheit drei Mal die Organisation des Gasshuku übernommen. Von daher weiss ich, welch gewaltiges Engagement seitens der Ausrichter hinter diesem Grossereignis steht. Gasshuku bedeutet, sich eine Woche lang ausschliesslich mit dem Karate, dem Zusammentreffen und Zusammenleben im Kreise der Karate-Familie widmen zu können. Der Wettergott meint es ja in der Regel gut in dieser Zeit mit Konstanz und dann kann der Charme der historischen Stadt und der Erholungsfaktor Bodensee wahrlich Labsal für die Seele sein. Ich freue mich schon sehr auf diese Woche.

toshiya

Es gibt einige große Veranstaltungen in Deutschland. Aber bei keinem Event wird der familiäre Charakter so deutlich wie beim Gasshuku. Wie kommt das?

Dieter Ruh

Das wird gerade in Konstanz stark unterstützt durch die Einrichtung eines Gasshuku-Zelts als zentralem Treffpunkt. Egal, wann immer man dieses Zelt betritt, immer wird man auf freundliche Menschen treffen und gleich ins Gespräch kommen. Vielleicht ist aber dieser familiäre Charakter gerade beim Gasshuku ein Relikt aus den Zeiten des DKB.

toshiya

Soziologen und Mediziner stellen kritisch fest, dass sich nicht nur die Erwachsenen, sondern insbesondere auch die Kinder und Jugendlichen zu wenig bewegen. Mit gesundheitlichen Präventivkonzepten unterstützen die Krankenkassen viele Projekte und auch einige Dojos öffnen ihr Training vermehrt für Gruppen wie Rentner, Menschen mit Handycaps, Adipositas Erkrankte, ADHSler u.a. Siehst Du darin eine Chance, Karate zu verbreiten, oder eher die Gefahr, dass sich Karate von den Wurzeln seiner traditionellen Kampfkunst entfernt?

Dieter Ruh

Ich habe immer wieder erlebt, wie im ersten Anschein nach nicht sehr talentierte Menschen, sich über das Karatetraining entwickelt haben, wie Menschen mit Handycaps phantastische Leistungen erbringen, wie viel Entwicklungspotential Menschen im Rentenalter in sich tragen. Allen, an die ich dabei denke ist Eines gemeinsam, die unbedingte Bemühung in der Beschäftigung mit dem Karate. Ich denke, dies ist der Geist, wie Karate zu praktizieren ist. Daneben gibt es immer wieder einige Wenige, die die Fähigkeit in sich tragen, die Kunst des Karate in besonders grosser Tiefe zu bewahren einerseits und weiterzuentwickeln andererseits. Dies ist bei aller Breite immens wichtig für die Zukunft des traditionellen Karate, daher sollte das Training im Anspruch nie zu gering angesetzt werden, damit wir diese Spitze nicht verlieren.

Einige Fragen noch, die einer kurzen Antwort bedürfen:

  • Der Titel Deines letzten Buches, das Du gelesen hast?
    Antwort: (Wieder einmal) „Siddhartha“ von Herrmann Hesse, mein absolutes Lieblingsbuch

  • Dein letzter Kinofilm?
    Antwort: „Ziemlich beste Freunde“

  • Welches Buch würdest Du noch einmal lesen wollen?
    Demnächst werde ich mal wieder „Zen in der Kunst des Bogenschiessens“ von Eugen Herrigel lesen

  • Mit wem würdest Du gerne zu Abend essen?
    Antwort: Mit dem Dalai Lama

  • Welche historische Personen faszinieren Dich?
    Antwort: Mahatma Ghandi und Nelson Mandela

  • Welchen Tag in der Geschichte der Menschheit würdest Du gerne life miterlebt haben?
    Antwort: Auch wenn ich nicht der absolute Fussballfan bin, das Weltmeisterschafts-Endspiel 1954 in Bern hätte ich gerne hautnah miterlebt

  • Bei wem würdest Du Dich gerne heute nachträglich entschuldigen?
    Antwort: Bei allen, denen ich wissentlich oder unwissentlich weh getan habe

  • Hast Du im Leben eine Abzweigung verpasst? Wann und wo?
    Antwort: Der rechte Zeitpunkt, Karate professionell betreiben zu können

  • Welche Musik magst Du?
    Antwort: Eher sanfte, tragende Musik, mein Lieblingssong ist „San Francisco“ von Scott McKenzie

  • Was treibst Du in der Freizeit?
    Antwort: Karate (klar), Familienaktivitäten, ein gutes Buch lesen, oder aber auch einfach mal nichts tun (was gar nicht so einfach ist).

  • Du hast einen Wunsch frei – welchen?
    Antwort: An Körper und Geist gesund bleiben

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