Portrait

Über mich

Es sind oftmals die vermeintlich kleinen Dinge, die dem Leben eine entscheidende Richtung geben. So ging es mir, als ich im Alter von 17 Jahren beim Warten auf den Bus ein Werbeplakat sah, ein unscheinbares gelbes Plakat mit einer offenen Hand „Karate-Anfängerkurs“. Wenige Tage später befand ich mich zusammen mit ca. 50 weiteren Anfängern in der Turnhalle. Es war die Zeit der ersten Eastern, des Bruce Lee, des Songs Kung Fu Fighting.

Das Training war einfach, aber anspruchsvoll. Gelobt war, was hart machte. Aber ich hatte das nahezu schicksalhafte Glück, von Freunden und Trainern, wie Peter Betz und Hans-Karl Rotzinger angeleitet zu werden. Diesen beiden Menschen besonders, aber auch vielen anderen ist es zu verdanken, dass neben dem sportlichen Training immer auch die geistigen Aspekte des Karate Berücksichtigung fanden. Etwas, das mein ganzes weiteres Leben bestimmt hat – Karate als Lebensart.

Bald stellten sich die ersten sportlichen Erfolge ein. Peter Betz, damals Bundessportwart des DKB (Deutscher Karate Bund) nahm mich unter seine Fittiche und ins C-Kader. Trainer dieses Juniorenkaders war Horst Handel, schon damals eine Legende. Ich weiss noch heute, wie ich mich nach einem Kadertraining beidhändig festhaltend die Bahnunterführung in Offenburg heruntergehangelt habe, den müden Beinen nicht mehr vertrauend.

Dann die Berufung ins A-Kader zu Bundestrainer Hideo Ochi. Ein Kaderlehrgang in Bottrop bedeutete Freitag Abend erstes Training, Übernachtung im Schlafsack im Dojo, Samstag zwei Trainingseinheiten, abends gemeinsames japanisches Abendessen im Trainingsraum, der noch durchtränkt war vom Duft des schweisstreibenden Trainings, wieder die Übernachtung im gleichen Raum und dann am Sonntag vor der Rückreise nochmals eine Einheit. Ja, es war herausfordernd, aber das Gefühl es geschafft zu haben, die phantastische Kameradschaft, ein Ochi sensei, der das letzte aus jedem Einzelnen lockte aber auch diese einmalige Atmosphäre prägte – das machte alle Mühen wieder wett.

Training, nationale und internationale Meisterschaften, Länderkämpfe, sportliche Erfolge – es kann nicht ewig so weitergehen. Der berufliche Werdegang forderte seinen Tribut und so begann die Zeit danach. Dem Abschied aus der Nationalmannschaft folgte einige Zeit später der Abschied aus der Vereinsmannschaft und von den Wettkampfflächen.

Was am Anfang nach Verzicht aussah, erwies sich mehr und mehr als grosser Gewinn. Wo zuvor der Fokus auf der Wettkampfkata, dem schnellen Zuki und Geri, auf wenigen Spezialtechniken lag, hundert- und tausendfach geübt, um im Wettkampf zu bestehen, eröffnete sich nun die Möglichkeit, auf der Grundlage der Wettkampferfahrung die ganze Breite und Tiefe des Karate zu erforschen. Das Ergründen der Kampfkunst der „Leeren Hand“ in ihrer technischen, körperlichen und ganz besonders der geistigen Tiefe, ist tatsächlich eine Lebensaufgabe, eine zutiefst befriedigende Suche, ein Streben nach dem eigenen Selbst auf dem Weg des Karate-Do.

Mein innigster Dank gilt in jeder Sekunde allen, die mich auf diesem Weg gefördert und begleitet haben und es zu meiner grössten Freude auch heute noch tun.

Ab und an werde ich gefragt, was es denn mit den geistigen Hintergründen im Karate so auf sich habe, wo doch letztlich das Training darauf abzielt, wirkungsvolle Techniken zu erlernen, um den Gegner auf der Kampffläche oder im Selbstverteidigungsfall zu besiegen. Sicher eine mehr als berechtigte Frage, dennoch würde ich sie am liebsten mit der Aufforderung, nicht so viel nachzudenken, vielmehr weiter hart und intensiv zu trainieren, beantworten, dann kämen die Erkenntnisse von ganz alleine.

Ich beantworte und erläutere die Frage dann jedoch sehr gerne damit, dass wohl ein grundlegendes Element für Aggression, Gewalt und Streit in den ureigenen Ängsten begründet ist. Ängsten, denen sich der Karateka, sei es im Wettkampf oder im Kumitetraining, immer wieder stellen muss. Gerade in der Grenzerfahrung des intensiven Kumite erkennen wir, dass Emotionen uns hindern, optimal zu agieren, lernen in uns hineinzusehen und uns von negativen Empfindungen zu befreien. Wahrlich uns selbst zu besiegen.

Im Karate gibt es das einmalige Prinzip des Kime, dem Augenblick der höchsten körperlichen, aber auch geistigen Konzentration, dem Punkt, an dem alle Energie entwickelt und übertragen wird. In diesem, manchmal nur Bruchteile einer Sekunde andauernden Moment, sind wir im Jetzt, erleben wir, dass alles, was vorher war oder nachher sein wird, nicht existent ist. Diese Erfahrung in die Alltagssituationen übertragen dient ebenfalls dazu, Ängsten zu entgegnen.

Karate stärkt unser Selbstbewusstsein. Indem wir die Techniken in unserem Bauch zentrieren, die Kraft aus unserer Mitte entfalten, ist es möglich, immer mehr unsere eigene Mitte, Stabilität und somit Gelassenheit zu finden.

Ein für mich besonders einschneidendes Erlebnis war ein Kampf, den ich mit dem aussergewöhnlichen, leider viel zu früh verstorbenen Niklas Streit ausgetragen habe. Selbst direkt im Anschluss an den Kampf, die Wertung der Kampfrichter war vergeben und ich hatte den Kampf gewonnen, ist es mir bis heute nicht möglich, mich an irgendeine Sequenz dieses Kampfes zu erinnern. Wer hat dieses Kumite bestritten? War es das, was Eugen Herrigel in seinem Büchlein „Zen in der Kunst des Bogenschiessens“ beschreibt, dass „Es“ gekämpft hat? Ich weiss es nicht. Doch die Erkenntnis und das Vertrauen darauf, dass tief in unserem Selbst, jenseits der üblichen Ego-Wahrnehmung etwas ist und wirkt, ist sicher geeignet uns Selbstvertrauen im wahrsten Sinne des Wortes zu vermitteln.

Und das sind nur einige der vielen Facetten des Karate, die Kunst des Karate ist unendlich tief.

Im Nachsinnen bin ich Niklas immer wieder dankbar dafür, dass ich in der harten Auseinandersetzung, mein Körper war danach stark in Mitleidenschaft gezogen, diese besondere Erfahrung machen durfte. Es tut sich immer wieder ein aufrichtiges Gefühl des Respekts, ja sogar der Zuneigung auf. In diesem Moment verlieren sich Gegnerschaft und Konkurrenz in einem Gefühl der Partnerschaft.

So paradox es im ersten Moment erscheinen mag – ich glaube fest daran, dass der Weg des Kriegers und des Kampfes, Budo, über das achtsame und intensive Training des Karate-Do, letztlich eine Frieden spendende Wirkung ausübt.

Dieser Gedanke zieht sich die weiteren Jahre bis heute durch viele Stunden meines intensiven Trainings. Er zieht sich aber auch durch die stillen Stunden der Reflexion und die Stufen des permanenten Wandels.

Karate ist sowohl ein körperlicher Weg als auch psychischer, pädagogischer, emotionaler und philosophischer Weg. Aber es ist vor allen Dingen ein persönlicher Weg, den es mit großer Bescheidenheit zu gehen gilt.

Mit den Jahren verliert die äußere Präsentation an Dominanz und weicht der Konzentration auf die inneren, die geistigen Werte. Das Karate folgt somit dem Leben. Wie der Körper an Fähigkeiten verliert, ist der Geist bereit zu wachsen.

So gleicht Karate dem Leben – das Leben dem Karate.

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