Texte

Eine Auswahl an Texten in meinem Verständnis des Karate und des Lebens


Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Vom Ende des Kampfes
Ippon
Das Nichts und die Leere
Geh nicht in solche Kneipen
Das Eindringen der Technik
Kampfeswogen
Die Suche nach dem Gleichgewicht
Von der Natur


Einleitung

Immer wieder hören wir das Mantra „lebe im hier und jetzt“. Doch ist diese unbedingte Form der absoluten Achtsamkeit wahrhaft möglich? Ist nicht allein der Gedanke den Moment zu leben sogleich abgelöst von dem neuen Augenblick und gehört somit schon wieder der Vergangenheit an?

Die Vergangenheit ist wie ein abgeschossener Pfeil, man kann ihn nicht zurück holen. Und dennoch ist die Vergangenheit in ihrer Erinnerung die Größe, die uns die Erfahrung gibt, einen weiteren Schritt in neu gedachte Richtung zu setzen. Themen, die mein Leben ausgemacht haben, das waren zwei von Wert und eines für den Nutzen. Den Nutzen zog ich aus dem beruflichen Vorwärtsstreben, der Wert meines Lebens jedoch liegt in der Familie und der Übung sowie Ergründung der Kampfkunst des Karate.

Mag der zeitliche Anteil, den der finanzielle Broterwerb gekostet hat, auch dominant sein, so habe ich die wahre Erfüllung gesucht in der Liebe zu meiner Frau, meinen Kindern, Enkeln, Freunden sowie dem Ergründen des Karate-Do.

Sinne ich über diese Feststellung nach, so weht sehr wohl auch die Frage empor, was denn erfüllend sein kann an der Beschäftigung mit dem Kampf? Im ersten Gedanken werden Begriffe laut, wie z.B. Fitness, Selbstverteidigung, Wettkampf, Erfolg, Bestätigung, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und vieles ähnliches mehr.

Ja, all dieses habe ich erfahren und dennoch, reicht das für die Begrifflichkeit der Erfüllung, für eine Erfüllung im Leben? Fehlt denn da nicht der tiefe Sinn, das, was mehr ist als das Sammeln schöner Erfahrungen?

Für mich ist der wahre Wert jeglicher Beschäftigung mit dem Kampf der Friede. Dabei meine ich nicht den Frieden, der dem Besiegten aufgezwungen wird, sondern den tiefen inneren Frieden der entsteht, wenn der Kampf in all seinen Komponenten durchdacht, durchlebt und in seinem tiefsten Wesen verstanden ist. Ein Verstehen, das nur eine wahre Antwort auf alle Fragen des Seins kennt – den Frieden

Die Lösung des Paradoxon, dass die Beschäftigung mit einer Kampfkunst zum inneren Frieden führen kann, basiert für mich auf der Überlegung und Erfahrung, dass erst durch die Kenntnis um das Wesen des Kampfes die Voraussetzung geschaffen werden, die unheilvollen Merkmale des Kampfes zu erkennen.

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Vom Ende des Kampfes

Es ist nun schon etliche Jahre her, ich war damals noch im Außendienst tätig und viel mit dem Auto unterwegs, da konnte ich eine Situation erleben, die ich seither nicht mehr aus dem Gedächtnis verloren habe:
Auf einer gut ausgebauten Landstraße setzte der Wagen vor mir zum Überholvorgang an, übersah den schnell nahenden Gegenverkehr oder überschätzte die Beschleunigungsfähigkeit seines PKW. Ein wieder Einscheren war ab einem Zeitpunkt nicht mehr möglich, die Kollission schien nahezu unausweichlich.
Beide Fahrer bremsten mit Vehemenz und kamen, einem Wunder gleich, wenige Meter, fast schien es mir Zentimeter, voreinander zum Stillstand. Ich war dem Geschehen unmittelbar nahe und wurde Zeuge eines wunderbaren Moments. Nein, kein Hupen, nein, kein Geschreie, keine wilde Gestik – die beiden Fahrer sahen sich an, lächelten, hoben die Hand zum Gruß. Ein Spurwechsel, beschleunigen und jeder fuhr wieder seiner Wege.

Würde ich ähnlich agiert und reagiert haben? Nun, ich weiss nur, dass es bestimmt sehr angenehm wäre, mit diesen beiden Menschen einen Abend im guten Gespräch zu verbringen.

Wie anders jedoch erleben wir in der Regel solche oder ähnliche Situationen, ob auf der Straße, dem Radweg, selbst im Kaufhaus und vielen anderen alltäglichen Begegnungen. In unserem Alltag, im Beruf wird zumeist Durchsetzungskraft gefordert, wird ein Spiel der Dominanz gespielt, gilt der Sieg als oberste Maxime. Wir kennen Sprüche, wie „das Recht des Stärkeren“, „Erfolg ist das Parfum des Mannes“, „der Obere regiert“ und maximal als kleiner Trost, „der Klügere gibt nach“.

Wie immer, wenn ich etwas besser verstehen lernen will, überlege ich mir, was wohl das Karate hier zu sagen hat. Ich bemerke, dass ich in meinem Training zu einem hohen Prozentsatz Angriffstechniken übe. Erkenne, dass das Karate, wie es zumeist praktiziert wird, ein Angriffskarate ist. Dies rührt meiner Meinung nach daher, dass die Verbreitung des Karate, auch in Deutschland, in direktem Zusammenhang mit dem sportlichen Wettkampf stand und steht. Ich erlaube mir diese Aussage, war ich doch viele Jahre selbst als Wettkämpfer national und international dabei; eine sehr wertvolle Zeit. Aber, wie ich es einmal so treffend vernahm: „nur ein Krümel von der ganzen Pizza“.

Die Punktevergabe im Sport ist dem Angriff zugeordnet. Stellen wir uns ein Fußballspiel vor, in welchem beide Mannschaften nur verteidigen wollen; der Ball würde am Anstoßpunkt liegen bleiben und das Spiel hätte keinen Inhalt. Gleiches gilt natürlich auch für den Wettkampf im Karate. Daraus resultierend erhält der erfolgreiche Angriff eine positive Wertung, die erfolgreiche Abwehr wird nicht gewertet. Zu großes Ausweichen, gar das Verlassen der Kampffläche wird negativ gewertet, zu große Inaktivität gleichermaßen.

Widerspricht das nicht allen Idealen, die wir mit dem Weg des Karate, dem viel zitierten Karate-Do in Verbindung bringen? Ideale, wie sie in den Dojo-Kuns vorgetragen werden, wie z.B. Höflichkeit, Bescheidenheit, Charakterbildung, Selbstbeherrschung und Geduld?
Wenn das Kampferlebnis in seiner Intensität fordert, dass man sich zurückziehen muss auf das Wesentliche, wenn es nicht mehr möglich ist, sich dem vielfältigen Technikspiel hinzugeben, sondern man immer mehr Einschränkungen hinnehmen muss, bis hin zu dem Gedanken die Kontrolle über die Begegnung zu verlieren, dann machen sich die dem eigenen Wesen ursprünglichsten Emotionen, Ängste auf, in den Vordergrund zu treten. In diesen Grensituationen will man sich auf das verlasssen, was man gewohnt ist, dessen man sich sicher ist. Der offensive Charakter wird den Angriff probieren, der defensive Charakter die Verteidigung oder den Konter. Doch wäre vielleicht in der ein oder anderen Situation genau die gegenteilige Verhaltensweise angebrachter gewesen. Wie schnell schwindet in Grenzsituationen der Überblick, das Gleichgewicht, die Gelassenheit. Wir verkrampfen, verlieren die Selbstbeherrschung, werden fremdbestimmt.

Es treten die tiefsten Eigenheiten zu Tage, wird uns gewahr, wo die eigenen Schwächen, aber auch wo die Stärken liegen. Wir entfalten uns förmlich vor unseren eigenen Augen.

Wohl der einzige Kampf, der sich wirklich lohnt ausgefochten zu werden.

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Ippon

Im Karate gibt es den Begriff des Ippon. Nach der Tradition ist dies die Technik, die mit einem Schlag tötet. Ich übertrage diesen Gedanken gerne dergestalt, dass der Ippon den Kampf beendet. Im sportlichen Wettkampf nach den Regeln des Shobu Ippon ist dies die Technik, welche den Sieg bringt; im Training sollte jede Technik nach diesem Prinzip der höchsten Konzentration geübt werden; in der Selbstverteidigung ist es die Handlung, welche den Schlußstrich setzt. Ausweichen, Abwehr, Konter, Angriff; all diesen Aktionen und Reaktionen ist im Karate eines unbedingt gemein, das ist der Grundgedanke der Verteidigung. Die rechte Geisteshaltung macht es aus. Im höchsten Ideal dann der gegenseitige Rückzug – nicht zu kämpfen

Sport braucht einen Sieger bzw. eine Siegerin, Karate braucht das meiner festen Überzeugung nach nicht.

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Das Nichts und die Leere

Ist etwas möglich, wenn es unmöglich ist? Wird es möglich, dann war es nicht unmöglich.
Kann aus dem Nichts etwas entstehen? Wenn etwas entsteht, dann war da kein Nichts, denn aus Nichts, kommt nichts

So war es nur scheinbar unmöglich, bis es möglich gemacht wurde. Und so war es nur scheinbar Nichts, bis etwas daraus entstanden ist.

Im Zen gibt es folgende Anekdote: Zum Meister kam ein Mönch und fragte ihn: „Hat ein Hund Buddhanatur?“ Der Meister antwortet: „Mu (Nichts / Da ist nichts).“ Ein Koan, über das es zu meditieren gilt, was nicht über Denken zu ergründen, was nur jenseits des Denkens erfahren werden kann.

Der berühmte Schwertmeister Myamoto Musashi‘s schreibt in seinem Buch der fünf Ringe: „Die Leere, das ist der Weg, und der der Weg, das ist die Leere!“

Karate heißt übersetzt „Leere Hand“.

Das Wesen des Budo, somit auch des Karate ist es wohl, in der Übung des Kampfes das Denken aufzugeben, in der intuitive Erfahrung die Dualität aufzuheben; im Erleben der ungeteilten Einheit das Wesen der Natur zu begreifen.

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Geh nicht in solche Kneipen

Nach einem Training kam ein besonders engagierter Schüler auf mich zu und fragte mich: „Dieter, sag mal, wenn ich in einer schrägen Kneipe bin, in der es gerne zur Randale kommt, wie stelle ich mich am besten hin und was mache ich, wenn es da zum Stress kommt“? Ich überlegte kurz und spontan kam mir die Antwort: „Du, geh nicht in solche Kneipen“!

Wir hatten uns eine Zeit lang aus beruflichen Gründen aus den Augen verloren und als ich ihn etliche Jahre später wieder getroffen habe, erzählte er mir von seinem Erlebnis. Er war in einer Bar in einen Streit geraten, wurde dann von seinem Kontrahenten, dem er in der Kneipe sich noch erfolgreich erwehren konnte, auf der Straße verfolgt und mit dem Messer im Gesicht deutlich gezeichnet. Die Narben waren verheilt aber würden für immer sichtbar sein.

Er sah mich an und sage: „Dieter, hätte ich doch damals nur auf Dich gehört“!

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Das Eindringen der Technik

Wenn ich am Meer stehe, sehe ich gerne dem Spiel der anrollenden Wellen zu. Gerade das Auftreffen der Wogen an einer Felsenküste fasziniert mich. Die Welle schlägt mit Wucht auf den Steinen auf und läuft dann zwischen den Felsen weiter, bis das Wasser sich dann wieder zurück zieht.

Gleichermaßen schlägt die Faust im Karatestoß auf und der Schock dringt weiter in die Tiefe. Ein solcher Stoß, am Makiwara perfektioniert, kann großen Schaden im Innern eines Körpers anrichten.

Daher ist es für Ausübende einer Kampfkunst äusserst wichtig, sich der großen Verantwortung bewusst zu ein, die sie mit jedem Fauststoß tragen.

Mittlerweile wird durch Schützer das Risiko gemindert. Unter den Gesichtspunkten des Sports sicher eine sinnvolle Maßnahme.

Doch im Sinne der Geistesschulung sind diese Schutzmaßnahmen eher abträglich, verführen sie doch dazu die Technik nicht mehr abzustoppen. Die Kontrolle über die eigene Verhaltensweise in jeder Situation zu behalten, ist jedoch eine der wichtigsten Schulungen im Karate.

Manchmal habe ich schon die Äusserung nach einem Freikampf gehört, dass dies Spass gemacht habe. Kampf und Spass klingt für mich jedoch ziemlich absurd.

Es gibt Sportarten, die darauf abzielen die Gesundheit des Gegenübers vorsätzlich zu schädigen. Ich halte diese Sportarten aus ethischen Gründen einerseits und aus Gründen der Geistesschulung von Selbstbeherrschung und Menschlichkeit andererseits für sehr bedenklich.

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Kampfeswogen

Wellen umspielen mich, Verlockung und Wunsch, mich dem Kampfspiel hinzugeben, mich treiben zu lassen. Neugierig den Emotionen nachspüren, Körper und Geist der Herausforderung anvertrauen, waches Sein.

Erkennen, dass die Wellen nicht mehr auf ruhigem Pfade wandern, Sturm lässt die vormals friedliche Bewegung in ein wildes Wogen, ein Zerren und Rütteln wandeln. Ungestüme Macht zieht mir den Sand unter den Füssen fort, lässt mich den Stand verlieren; strauchelnd suche ich nach festem Untergrund, einer Steinplatte, einem Fixpunkt, der mir wieder Stabilität verleiht; nur um, kaum erreicht, wieder von den wilden Mächten erneut durchgeschüttelt zu werden, zum Schwimmen gezwungen, ein Spielball des Meeres; untergetaucht, umher gewirbelt, nach Luft ringend, kämpfend der Oberfläche zustrebend, vom Wunsch besessen, einmal mehr den Kopf oben zu halten.

Allein, auch dieses irre Geschehen erfüllt mich mit grosser Lust, treibt doch die Urgewalt der Mächte das Blut rasend durch die Adern, verspüre ich meine Existenz in einer Tiefe, die mir im ruhigen Dahinleben nicht möglich ist, ein Lachen und Weinen gleichermassen macht sich in mir breit.

Erschöpfung danach, Dankbarkeit; Angst und Mut gleiten aus meinen Nervenbahnen; Entspannung, Freude um die bestandene Erfahrung.

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Die Suche nach dem Gleichgewicht

Ich erinnerte mich an eine Vorrunde im Kata- Wettbewerb. Angetreten war ich mit der Kata Empi, einer Kata, die ich schon viele Male vorgetragen hatte und mit der ich mich sehr sicher und verbunden fühlte. Doch bereits nach wenigen Techniken, beim ersten tiefen Vorsteppen verlor ich die Balance, wackelte, strauchelte nahezu. In jenem Moment war mir klar, dass an einen Einzug ins Finale nicht mehr zu denken war, die Enttäuschung darüber übermannte mich und ich brach den Vortrag ab, verbeugte mich und verließ die Kampffläche.

Auch Jahre danach ist mir dieses Erlebnis immer noch so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. In mir macht sich dann die Überlegung breit, ob es richtig war, den Vortrag abzubrechen, aber vor allen Dingen, wie mir dieser Fehler passieren konnte. Die Technik hatte ich doch so viele hundert Male geübt und immer gut ausgependelt gestanden.

Mit den Jahren und wachsender Lebenserfahrung wird mir klar, dass Straucheln gleichermaßen zum Leben gehört als die Balance und wie in der Betrachtung eines bewegten Pendels sind die Momente ausserhalb der Mitte umso häufiger, je stärker das Pendel schwingt.

Die Meisterschaft in den Kampfkünsten liegt im Bewusstsein von Ruhe und Gelassenheit. Dies gilt auch im Besonderen dann, wenn wir mal ins Straucheln geraten. Von daher bin ich mir heute bewusst, damals hätte ich meinen Kata-Vortrag beenden und die geringe Wertung mit Respekt und offenem Geist entgegen nehmen sollen.

Mit dieser Erkenntnis stelle ich mich auf ein Bein und – lächle!

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Von der Natur

Einstmals habe ich auf einer Wiese am Waldrand trainiert. Einsam und idyllisch gelegen, im Hinterland des Bodensees, eingebettet in eine leicht hügelige Landschaft. Der etwa drei Meter breite, offensichtlich wenig befahrene Versorgungsweg für die ländliche Arbeit des in etlicher Entfernung befindlichen Hofs, war noch mit dem herbst- und winterlich braunen Laub bedeckt, doch kündeten ein erstes Grün auf der Wiese und im Geäst der Bäume sowie die laue Brise bereits vom nahenden Frühling. Ein Hochstand war am Wegesrand aufgebaut, auf naturbelassenen Stämmen stabil drei bis vier Meter in die Höhe reichend.

Zur späteren Nachmittagsstunde war die Luft erfüllt vom Abendgesang der Vögel und vom Rauschen des Windes, der die Bäume zum wiegenden Tanz brachte. Mein Blick richtete sich in das dunkle Blau des Himmels und ich erblickte unter vereinzelten Wolken einen mit ruhig majestätischem Flügelschlag kreisenden Vogel.

In dieser wunderbaren Umgebung begann ich mit meinem Training, übte mich in den Angriffs- und Abwehrtechniken, den Schritt- und Drehbewegungen, wie diese die Kampfkunst des Karate ausmachen.

Und wieder einmal machte sich in mir die Frage um das scheinbare Paradoxum zwischen Kampfkunst und dem Wunsch nach Friede breit.

Während einer Trainingspause wurde mir dies wieder einmal so gewahr und ich fragte mich im Stillen, was machst du denn hier? In dieser so friedvollen Umgebung, in diesem Duft reiner Harmonie trainierst du den Kampf? Ich fühlte mich tatsächlich als Störenfried, als gleichsam deplatziert.

In diesem inneren Zwiespalt hob ich meinen Blick und ich erkannte in dem am Firmament kreisenden Vogel den Greifvogel, der nach seiner Beute späht; nahm in meinem Umkreis wahr, wie ein jedes Getier um seine Existenz sorgt, Nahrung für die Aufzucht sucht; wie eine jede Pflanze vom Willen nach Leben beseelt ist, um Licht und Wasser ringt; wie alles im ewigen Kreislauf des Werdens und des Vergehens, des Nehmens und des Gebens begriffen ist. Sah vor meinen Augen die Larven unter der Borke, von Muttertieren gelegt, um am Wirt zu gedeihen. Weiß um Abwehrmaßnahmen der Pflanzen und Tiere. Um Ausweichtechniken und Konter. Ein im ewigen darwinistischen Kampf begriffener Wandel, der Weiterentwicklung und Selektion unterworfen.

Mitgefühl regte sich in mir mit dem stolzen unbeweglichen Baum, der dem Angriff des Insekts ausgesetzt ist und vielleicht nichts mehr entgegensetzen kann; mit der Feldmaus, die Opfer des geflügelten Räubers wird, mit jedem Wesen, das vergehen muss, um anderen das Überleben zu sichern. Wie ungerecht das doch alles ist, dachte ich. Nur um im gleichen Atemzug festzustellen, dass diese Wertung nur ein nach menschlicher und ganz persönlicher Sicht angelegtes Gedankengut ist, dass vielmehr alles richtig ist, so, wie es ist.

Seit vielen Jahren sinniere ich schon über den Wert der asiatischen Kampfkünste, darüber, was diese über den sportlichen, gesundheitlichen und selbstverteidigenden Aspekt hinaus für uns abendländische Menschen bedeuten können.

Die Geschichte der Menschheit zeigt auf, dass Streit und Krieg zutiefst destruktive Handlungen sind. Agressionsbeladen, zerstörerisch und recht betrachtet, sinnlos.
Anders nehme ich an diesem Nachmittag, den ich eingangs beschreibe, die sich permanent wandelnde Natur wahr. Nichts destruktives finde ich, vielmehr ein konstruktives Werden und Gedeihen.

Ist dies nicht das innerste Wesen einer Kampfkunst, frage ich mich?
Mit dieser Frage im Herzen trainiere ich mich weiter im Kampf; trainiere den Kampf im Bewusstsein der Kunst; übe die Kunst im Erkennen des Wegs; bewege mich auf dem Weg in der Erfahrung der Natur; erblicke die Natur in ihrer Harmonie; fühle die Harmonie im Kreislauf des Seins; trachte nach der Einswerdung mit allem Sein.

Nun mag man anmerken, dass dergestalt Erkenntnisse nicht zwingend die Beschäftigung mit dem Kampf voraussetzen, vielmehr durch eine humanistische Geisteshaltung, Meditation, soziales Wertebewusstsein etc. gleichermaßen erreicht werden können.

Das ist sicher alles richtig, mich als Mann der Kampfkunst fasziniert jedoch die Tatsache der absoluten, körperlich sinnlichen Erfahrung. Einer, ich möchte sagen, Naturerfahrung, welche in letzter Konsequenz die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit und in allerletzter Konsequenz den Tod mit einbezieht.
Ein Naturerlebnis, wie es (für mich) nicht direkter und ursprünglicher sein kann.

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